Ich
kann nicht schlafen. In mir toben Gedanken und Gefühle. Ein alter Kampf. Er
möchte zur Ruhe kommen. Die Ereignisse an Sylvester in Köln stöbern mein
Inneres auf. Ich hätte nicht gedacht, dass dies sovie bei mir aufwirbelt und so
viel mit mir persönlich zu tun hat. Ich bin so fern vom Geschehen und es geht
mir doch so nah.
Wir sind mit allem was geschieht verbunden
Gestern
las ich die Zeilen einer Frau aus Köln, diese berührten mich sehr. Sie lebt im
Gegensatz zu mir räumlich nahe und erlebt die greifbare Gewalt in Köln, die
Angst, den Kampf, die Demos von Frauen. Diese schreien ihre Gefühle
stellvertretend für viele Frauen, stellvertretend für mich in die Welt hinaus.
Aus der Stille heraus formuliert sie ihre Gefühle dazu. Darin sind wir uns nahe
– auch ich liebe die Stille.
Was ist die Qualität dieser Stille?
Strahlende Präsenz und Harmonie sind Qualitäten von Stille |
Für
lange Jahre war es für mich normal, zu funktionieren. Ich kenne auch wie es
ist, in Stärke zu sein. Seit langem trug ich eine Frage in meinem Herzen: „Wie
kann ich so früh wie möglich erkennen, dass ich schon wieder in diesen
Funktionsmodus zurückgefallen bin, schon wieder im Kackmodus bin und den
Kontakt zu mir und zum Leben verloren habe?“ Diese Frage war für mich
essenziell, um wieder zurückzukehren. Mit dem Leben verbunden sein. Berührbar
sein. Offen sein. Lieben. Einssein. Das Ganze kann man sich auch sehr gut nur
einbilden. Zumindest ist das bei mir so. Erst vor kurzem wurde mir klar, wie
ich beides unterscheiden kann: die Stille. Keine Gedanken. Frieden. So einfach.
Da war ich wohl auf der Leitung gesessen? Mein Partner schmunzelt, als ich es
ihm erzähle. „Die Yogini. Da sitzt sie zwanzig Jahre – und was ist ihre
Erkenntnis? Stille – das was sie schon seit zwanzig Jahren praktiziert.“ Er
übertreibt gerne. Er freut sich mit mir.
Was ist ihr wichtig, der Frau aus Köln?
Aber
zurück zur Frau aus Köln. Sie schreibt von weiblicher Kraft, was das für sie
bedeutet. Sie schreibt von Urwissen, von Liebe, von der Fähigkeit Gemeinschaft
zu bilden, zu gebären und zu nähren, von dem Leuchten das entsteht wenn die
weibliche Präsenz in ihrer Essenz erstrahlt. Von der Erfahrung wie beglückend
es ist, dies in sich selbst und in anderen zu entdecken. Wie beglückend es ist,
sich selbst und andere zu lieben, mit sich selbst und anderen in Kontakt zu
sein. Das ist Stärke. Das ist ihr Weg – das ist auch mein Weg.
Und wie kann das Problem dieser Gewalt gelöst werden?
Wenn
jemand zur Therapie oder zum Coaching zu mir kommt, dann habe ich nicht die
Haltung: „Wie bekomme ich das Symptom weg? Wie bekomme ich die Angst weg?“ Ich
frage mich: „Wozu dient das Symptom? Wozu dient die Angst?“ Diese Frage hat mir
bisher immer gedient. Und auch die Frau aus Köln stellt sich diese Frage:
„Wozu könnte es gut sein, was in der Sylvesternacht passiert ist?“
Sie
kommt zu einem Schluss, den ich in meinen tiefen Ängsten und in meiner
Schlaflosigkeit nicht erwartet hätte. Sie stellt sich Fragen: Wenn Männer sich
zu Gruppen zusammenrotten müssen, um gegen eine einzelne Frau vorzugehen - wie
bedrohlich muss Weiblichkeit für sie sein? Wie bedrohlich muss weibliche
Sexualität für sie sein? Wie machtvoll müssen wir Frauen also sein? Wie
machtvoll müssen wir in unserer Sexualität also für sie sein? Diese Sichtweise
macht mich still. Sie zeigt mir, dass diese Fragen mich mit meiner Essenz
verbinden. Das ist Wahrheit. Das ist mein Weg.
Starke Frauen sind überall.
Sie
freut sich, nicht die einzige zu sein, die Frau aus Köln. Überall in ihrem
Umfeld sieht sie wie Frauen in ihrer Kraft erwachen, wie sie sich zeigen,
verbinden, heilen. Und dadurch eine enorme Kraft zutage kommt. Eine Kraft, die
bedrohlich scheinen könnte für Männer, denen die innere Stärke fehlt? Eine
Kraft, die bedrohlich scheinen könnte für Männer, die sich dieser enormen Kraft
nicht anschließen wollen oder können, um gemeinsam noch viel mehr daraus zu
gewinnen? Auch in meinem Umfeld erwacht die Frauenkraft. Unaufhaltsam. Es
werden immer mehr!
Und die schlaflosen Nächte?
Om steht für Frieden. |
Die
weibliche Kraft erwacht, da zeigen sich auch alte Verletzungen. Die möchten
gesehen werden bevor sie sich verabschieden. Wer in Liebe ist, in Kontakt mit
sich, der kommt auch in Kontakt mit seinen alten Verletzungen, mit
Schattenalteilen. Die enormen Kräfte, Gedanken, Gefühle, die in der
Gesellschaft jetzt toben – ausgelöst durch die Ereignisse in Köln - rütteln
alles wach, das die Frauenkraft immer noch zudeckt. Meine ersten Lebensjahre
waren nicht getragen von genährt sein, von gehalten sein, von verbunden sein –
meine Mutter war mit sich beschäftigt, im Kampf mit sich und der Welt. Sie
funktionierte und war traurig, verzweifelt. Aha, daher wohl mein so tief
sitzender Funktionsmodus. Jetzt, in diesen schlaflosen Nächten spüre ich die
alten Gefühle. Alleinsein. Einsam sein. Verzweifelt sein. Enttäuscht sein vom
Mann. Es wäre ein leichtes, dies alles auf meine Lebensumstände zu projizieren.
Es wäre ein leichtes, dies alles auf meinen Partner zu projizieren. Und es wäre
noch leichter, alles auf jemanden zu projizieren, der im Rampenlicht steht –
sei es nun ein Politiker , ein Lehrer, ein Chef – oder gar meinen Guruji. Oft
genug bin ich schon in die Projektionsfalle getappt. Jedoch, das ist zu Ende,
der Kampf, das Projizieren. Das ist für mich kein Leben. Das Funktionieren hat
ein Ende. Gefühle wollen gefühlt werden. Mehr ist es nicht. Mein Weg ist die
Liebe. Stille. Punkt.
Wie könnte das Fazit lauten?
Wichtiger
denn je ist es für die Frau aus Köln, in einer Gemeinschaft zu sein mit
nährenden Schwestern und wachen Männern. Die gibt es ja auch noch, die
kraftvollen Männer. Sie möchte die Urkraft wachsen lassen: die Liebe. Wache,
achtsame, liebevolle Begegnungen mit offenem Herzen. Das ist ihr Weg. Und
meiner auch. Wenn Du Lust hast, Teil so einer starken Gemeinschaft zu sein,
dann komm in den Human Trust. Das ist so eine Gemeinschaft. Bis zum 15. Februar gibt es in diesem Jahr noch die Möglichkeit, dort einzusteigen. Ich kann es von ganzem Herzen nur empfehlen.
Und die Männer?
Als
Kommentar zu den Zeilen der Frau aus Köln schreibt ein Mann von sich. Die Zeit
der Pubertät, als die Sehnsucht erwacht, dem Weiblichen nahe zu sein, einem
Mädchen nahe zu sein. Die Zeit, in der er zu schüchtern war, ein Mädchen
anzusprechen, weil ein Schwarm der Mädchen sei er nicht gewesen. Die Zeit, in
der die einzige Lösung, seinem von Testosteron durchfluteten Körper in die Nähe
eines Mädchens zu kommen darin bestand, eins zu begrapschen. Die Zeit, in der
die Mädchen, die Lehrer und die Eltern ihm auf die Finger klopften und er es
als Unrecht erkennen durfte. Die Zeit, in der die Sehnsucht erwachte, die
Unfähigkeit seine Bedürfnisse angemessen zum Ausdruck zu bringen zu überwinden.
Die Zeit, in der er begann, mutig und stark zu sein. Die Zeit, die ihm die
Möglichkeit gab zu bereuen, sich zu entschuldigen, zu wachsen und heute das
Leben zu feiern. Gemeinsam.
Wie könnte die Geschichte weiter gehen?
„Am
besten ist es, still zu sein.“ Diese Worte wurden oft von dem indischen Weisen
Sri Ramana Maharshi ausgesprochen, wenn er um Rat gefragt wurde. Oder er
praktizierte es – er antwortete nicht, sprach nicht, verweilte in Stille. Ken
Wilber zitiert ihn gerne und spricht in Hochachtung von ihm als dem weisesten
Wesen, das jemals auf dieser Erde wandelte. Dem Denker aus Boulder (Colorado,
USA) ist ein Geniestreich gelungen – er fasste die gesamte westliche
(Entwicklungs)psychologie und die östlichen Weisheitslehren zu einer einzigen
Theorie zusammen. Die Presse zitiert ihn als den fundiertesten Vordenker eines
neuen und ganzheitlichen Weltbildes. Seine Theorie geht davon aus, dass die
Entwicklung des Individuums und die der Gesellschaft miteinander verschränkt
sind und sich auch gegenseitig bedingen. Er erklärt damit auch die Pathologien
und gibt mir zumindest einen sicheren theoretischen Rahmen um zu verstehen was
in mir und der Welt vor sich geht. Wer hier tiefer einsteigen möchte, für den
gibt es hier ein Seminar dazu von Veit Lindau.
Sein Weltbild gibt mir Hoffnung.
Das
Weltbild von Ken Wilber und die Gedanken der Menschen aus dem Human Trust geben
mir Hoffnung. Wenn für die Gesellschaft dasselbe gilt wie für ein einzelnes
Wesen – dass es nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten abläuft, dann könnte es für
unsere Gesellschaft gar nicht so schlecht aussehen. Vielleicht ist es einfach
nur das Chaos, was einen Entwicklungssprung kennzeichnet? Wenn ich aus dieser
Perspektive auf die aktuellen Ereignisse schaue, dann sehe ich Männer, die sich
zusammen schließen und die Nähe von Frauen suchen. Ich sehe Männer, die die
Nähe von starken Frauen suchen. Ich sehe Männer, die diese Nähe mit
unangemessenen Mitteln herstellen. Ich sehe Männer, denen man auf die Finger
klopfen muss - und vielleicht nicht nur das? Ich sehe Männer, die Unterstützung
brauchen von denen, die bereits vorangegangen sind. Ich sehe Männer, vor
denen ein Transformationsweg liegt. Ich sehe Männer, die Nähe leben können,
Wertschätzung. Einssein. Gemeinschaft. Liebe. Wie lange das dauern wird, weiß
ich nicht. Ob ich das noch erleben werde, weiß ich nicht. Aber ich wünsche es
mir.
Ich halte alles für möglich
Vor
dem Hintergrund dieser Stille beginnt für mich die Welt, das Leben so richtig
Spaß zu machen, beginnt es mich zu faszinieren. Wo würde ich in diesen
stürmischen Zeiten stehen, gäbe es da nicht die Stille, in der ich regelmäßig
verweilen kann? Wie würden die inneren Stürme sonst aussehen? Was würde ich
daraus im Alltag sonst machen? Ich wage nicht das zu Ende zu denken. Aus dieser
Stille heraus ist es einfach, die richtigen Gedenken zu fassen und die
richtigen Entscheidungen zu treffen. Aus dieser Stille heraus lasse ich mich
auch nicht verwirren von allen möglichen Informationen. Ich bin geborgen, in
Frieden, dankbar, still und staune.
Wenn
es Dich zu dieser Stille zieht, dann ist es vielleicht Zeit für Dich, darin
einzutauchen? Dann genieße ein Stille-Retreat. Entweder im Human Trust – oder
wo ich es sehr schätze in einem Retreat mit Madhukar.
Hier sind die Männer!
Als
ich heute nach aufstand und diesen Text verfasste habe ich mir diese Männer
gewünscht - hier sind sie schon. Danke Lidia.
Der
erste Beitrag dazu ist dieses Video. Die vielen aufrichtigen Bekenntnisse zum
Thema Männer und Frauen berühren mich ganz tief. Der zweite Beitrag dazu ist
ein Buch, das seit Monaten zur Rezension auf meinem Schreibtisch liegt. Ich
habe es noch nicht ganz lesen können, habe einzelne Kapitel gelesen, habe es
quer gelesen. "Lustvoll Mann Sein - Expedition ins Reich männlicherSexualität". Hier wurden 15 intime Gespräch mit Männern
geführt. Saleem Matthias Riek und Rainer Salm stellen die richtigen Fragen, um
mit einem alten Vorurteil aufzuräumen - die Sexualität von Männern sei einfach
gestrickt. Ein Buch nicht nur für Männer - sie verraten darin wie sie
Sexualität, Nähe, Beziehung leben. Ihr Ringen, Kämpfen, Forschen, Gelingen,
Genießen. Ein wahrer Schatz!
Es
gibt genügend Männer, die sich mit ihrem Mannsein auseinandergesetzt haben. Es
gibt wunderbare Männer, die Nähe leben können, auch ohne Zwang. Es gibt
genügend, die es anderen zeigen können. Es gibt genügend, die bereits
vorangegangen sind. Die Evolution geht weiter und wir sind mittendrin. Wo
stehst Du darin? Im Kampf? In der Angst? In der Liebe? In Stille? Und wo willst
Du sein?
P.S. Auch wenn ich hier ihren Namen nicht nenne, habe ich selbstverständlich die Frau aus Köln gefragt, ob ich mich hier öffentlich auf ihre Worte beziehen darf.
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Fotos: Shivani Allgaier (cc)
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